Ergebnisse der Polenfreizeit 2021

Auf dieser Seite finden sich die verschiedenen Ergebnisse einiger Arbeitsgruppen von unserer Jugendfreizeit in Polen. Die Aufgabe war, sich ein Thema zu suchen, das entweder mit der persönlichen Familiengeschichte oder der Migrationsgeschichte allgemein zusammenhängt. Die Formate konnten sich die Jugendlichen selbst aussuchen. Dabei sind sowohl Bilder, als auch Filme und Kurzgeschichten entstanden. Eine Auswahl präsentieren wir hier. Einige Geschichten und Projekte werden hier bewusst nicht vorgestellt. Da es sich teilweise um sehr persönliche Geschichten handelt, bitten wir um Verständnis, dass einige Personen und Familien keine Veröffentlichung wünschen.

Die Geschichte der Mennoniten im Weichseldelta

Ben und Jorma haben sich mit der Geschichte der Mennoniten im Weichseldelta beschäftigt. Für ihre Recherche haben sie verschiedene Orte besucht, mit ihren Familien gesprochen und im Internet recherchiert. Hier sind die Ergebnisse.

Fluchtgeschichten

Auf dem unten stehenden Padlet finden sich verschiedene Fluchtwege von mennonitischen Familien aus dem Weichseldelta über verschlungene Wege nach Deutschland und Südamerika. Teilweise sind dort Orte markiert, teilweise auch kleine Berichte. Man kann dort einfach durch die Karte scrollen und auf die Pins klicken, um mehr Informationen zu erhalten. Eine Pinfarbe entspricht immer der Fluchtgeschichte einer Familie.

Mit Padlet erstellt

In Erinnerung an Reinhard Quiring

Dieses Video wurden von Lina Döding und Jule Quiring recherchiert und erstellt. Es handelt von der Geschichte von und der Erinnerung an ihren gemeinsamen Vorfahren Reinhard Quiring, dessen ehemaligen Hof sie besuchen konnten.

Auf der diesjährigen Sommerfreizeit haben wir uns unter anderem mit den Lebenswegen unserer Vorfahren beschäftigt und dazu verschiedene Projekte gestaltet. Unsere Gruppe hat sich für eine kreative Auseinandersetzung mit dem Thema in Form einer Bilderreihe entschieden. Vorlage dafür war ein altes Foto des Elternhauses von Naomis Urgroßmutter. Wir wollten durch die verschiedenen Zustände und Jahreszeiten die das Haus in unseren Bildern durchlebt, den Kreislauf von vergänglichem und dem Neuen, Schönen, Lebendigen (in diesem Fall ein Rückzugs-/Entdeckungssort für spielende Kinder) das daraus entstehen kann, veranschaulichen. Die Bilder zeigen, dass auch wenn unser Weg einmal zuende geht immer Spuren von uns bleiben aus denen etwas Neues werden kann.

Damya Bewersdorff, Naomi Nwobodo, Jella Poste, Birka Wiebe, Patricia Wiebe

Maria – eine Fluchtgeschichte

Inspiriert von verschiedenen Fluchtgeschichten, die auf der Freizeit erzählt und überliefert wurden, hat Renske Zufacher eine Kurzgeschichte geschrieben. Sie handelt von Maria, die als Kind aus dem Weichseldelta nach Polen flieht.

Unter anderen Umständen hätte es fast schön ausgesehen. Wie die Sonne, die sich zum ersten Mal seit Tagen blicken ließ, auf dem Wasser glitzerte, die Wellen den Schiffsbauch umspielten, wie eine Möwe durch die Luft kreiste und fast mit den paar Wolken, die am Himmel zu sehen waren verschmolz.

Unter anderen Umständen hätte es fast eine Art Freiheitsgefühl ausgelöst zum ersten Mal auf einem Schiff zu stehen.

Aber alles was Maria fühlte war Beklemmung, Angst und Trauer. Das Schiff platzte aus allen Nähten, ihr war unglaublich kalt und ihre kleine Schwester war vor zwei Tagen gestorben. Um ehrlich zu sein verstand Maria nicht mal warum sie selbst noch lebte. Nach zehn Tagen Fußmarsch durch Temperaturen bis zu minus 25 Grad und kaum Nahrung hätte sie doch eigentlich auch erfrieren müssen, oder nicht?

Marias Familie war vor Jahren hier hergekommen. Sie kannte nichts anderes als den Hof, hatte die ganzen vierzehn Jahre ihres Lebens dort verbracht und immer noch nicht so richtig verstanden, dass sie nie wiederkehren würde. Aber es war Krieg. Und als die rote Armee die Grenzen durchbrochen hatte hatten sie alles stehen und liegen gelassen, nur eine ihrer Ziegen mitgenommen und sich auf den Weg gemacht. Zu Fuß. Durch die Kälte, den eisigen Schnee, mit nicht viel mehr als der Kleidung, die sie am Leib trugen. Ihr Bruder hatte Elisabeth sogar für den größten Teil des Weges getragen, aber sie hatte es trotzdem nicht geschafft. War in seinen Armen eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

Maria hatte nicht geweint. Sie wusste nicht warum, aber sie bekam generell alles irgendwie gerade nur so mit, als wäre sie es gar nicht, die das alles erlebte. Als wäre sie neben sich, würde sich selber zusehen wie sie tat was sie tat, aber ohne es zu begreifen. Alles war irgendwie unwirklich. Es war irgendwie komisch. Sie fühlte nichts, aber sie war völlig fertig. Wie passte das zusammen?

Ihre Familie war sogar eine der wenigen gewesen, die das Glück gehabt hatten in Pillau, wo der Hafen war, in einer Turnhalle untergekommen zu sein. So hatten sie wenigstens nicht noch mehr Nächte in der Kälte schlafen müssen. Sie wusste, vor allem was das anging, durfte sie sich nicht beschweren, aber sie wollte einfach nur schlafen. Und sie konnte nicht.

 

Einige Stunden später saß sie neben ihrer schlafenden Familie. Es war dunkel, auf dem ganzen Deck verteilt lagen Menschen und Maria konnte immer noch kein Auge zumachen. Sie stand leise auf und bahnte sich einen Weg durch die Menschen zurück an die Reling, wo sie heute schon einmal gestanden und aufs Wasser geblickt hatte. Dort ließ sie sich auf dem Boden nieder und setzte sich in einen Schneidersitz.

Eine Ewigkeit starrte sie einfach nur stumm in die Dunkelheit und machte keinen Ton. Dann spürte sie wie sich neben ihr jemand hinsetzte. Sie drehte den Kopf nach rechts und erblickte einen Jungen. Etwa ihr Alter, braune Haare und vor allem…hatte er ein Brot in der Hand. Er schien ihren Blick wohl zu merken, denn er brach ein relativ großes Stück ab und hielt es ihr hin. Ihre Augen wurden groß und sie schüttelte den Kopf. Das konnte sie nicht annehmen, der Junge war genauso dünn wie sie und das war bestimmt das erste was er seit Langem bekommen hatte. Aber er sah sie nur eindringlich an.

„Nimm. Ich habe eh nicht so viel Hunger.“

Maria wusste, dass das eine Lüge war, aber sie konnte nicht anders als das Brot mit einem vorsichtigen Lächeln anzunehmen. Ihr Magen knurrte schon seit Stunden, sie hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen. Zumindest fühlte es sich so an.

Als der weiche Teig in ihrem Mund fast zerging musste sie leise aufseufzen und schloss kurz die Augen. Dieser Moment war der beste seit Tagen. Ohne Zweifel. Sie dachte an ihren Bruder, wollte ihm etwas von diesem himmlischen Brot abgeben, aber einerseits lag er zusammen mit ihren Eltern auf der anderen Seite des Bootes und andererseits würde er sowieso wollen, dass Maria es alleine aß. Seit Lischen gestorben war hatte er noch mehr Angst, dass Maria nicht mehr durchhielt und wenn sie ehrlich war wusste sie, dass seine Sorge auch durchaus berechtigt war. Ja, sie war eine Kämpferin, aber sie kämpfte schließlich auch schon seit zwei Wochen ununterbrochen. Mit dem Wetter, mit ihrem Körper, mit ihren Gedanken. Mit allem irgendwie. Alles war schwierig. Vielleicht kam es ihr deshalb zwischendurch so leicht vor.

Sie kaute, schluckte und versuchte so langsam wie möglich zu essen, um es das Ende des Brotes so weit hinauszuzögern wie es ging.

Eine Weile lauschten sie und der Junge einfach nur den Wellen und dem leisen Gemurmel anderer wacher Flüchtlinge und sahen in die Dunkelheit hinaus.

„Ich bin Jakob“, sagte der Junge dann.

„Maria“, flüsterte Maria zurück.

„Meine Schwester heißt auch Maria.“

Maria lächelte. Das überraschte sie nicht. Sie hatte auch Jakobs in ihrer Familie. Ihren Onkel zum Beispiel. Der war aber vor einigen Jahren schon gestorben.

Wieder war eine Weile Stille und Maria aß den letzten Bissen ihres Brotes. Als sie schluckte überkam sie eine Art Wehmutsgefühl. Sie wusste nicht mal genau was sie vermisste, vielleicht einfach essen zu können, ohne sich über den Krieg oder irgendetwas anderes Gedanken machen zu müssen, aber auf einmal fühlte sie sich schrecklich hilflos. Sie war hier auf einem riesigen Schiff, das vermutlich wirklich kein schweres Ziel war hatte man es entdeckt, der Krieg dauerte inzwischen schon über fünf Jahre, ihre Schwester war gestorben und ihre ganze Familie mit der Kraft ziemlich am Ende. Sogar ihr Bruder, der jede Art von Arbeit innerhalb Minuten verrichtete und einmal mit gebrochenem Bein den Stall nach einem Unwetter neu gebaut hatte, schien sich an sein Leben zu klammern.

Maria wusste nicht was sie tun sollte. Aber sie konnte ja auch gar nichts tun.

„Es ist irgendwie fast friedlich, nicht?“, fragte in diesem Moment Jakob neben ihr und Maria sah ihn verwirrt an und fragte sich was er meinte. Sie folgte seinem Blick aufs dunkle Wasser und hielt einen Moment inne.

Man konnte weit und breit nichts sehen außer Dunkelheit und vereinzelt einzelne Lichter des Schiffs, die sich in den Wellen spiegelten. Er hatte irgendwie Recht. Für eine Sekunde konnte man sich einfach vorstellen alles wäre anders. Es gäbe keinen Krieg. Sie würden einfach nur so mit dem Schiff irgendwo hinfahren. Urlaub vielleicht.

In diesem Moment, diesem winzigen Moment der Ruhe verspürte Maria etwas, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass sie es überhaupt noch spüren konnte. Einen Funken Hoffnung. Er entfachte in der Nähe ihres Herzens, kribbelte durch ihren ganzen Körper und setzte sich dann in ihrem Gehirn fest.

Vielleicht, ganz vielleicht würde es ja wieder eine Zeit geben in der so eine Realität möglich war.